Critical Pride 2025

Während am gestrigen Samstag in Budapest rund 180.000 Menschen trotz Verbots durch die ultrarechte ungarische Regierung an einer Pride teilnahmen, beteiligten sich in Stuttgart 700 bis 800 Personen an der Critical Pride, einem alternativen Christopher Street Day, der den Fokus stärker auf eine politische Demonstration statt einer Parade mit Party legt. Mehr zu den Hintergründen der Christopher Street Days und Prides findet ihr in unserem Post vom 8. Juni zum CSD Tübingen.

Bei kuscheligen 34°C zog die Demonstration vom kleinen Schlossplatz im Kreis durch die Innenstadt Stuttgarts und kehrte nach einer Zwischenkundgebung am Rotebühlplatz zum kleinen Schlossplatz zurück. Im Anschluss fand noch ein Hoffest im Primsa Bad-Cannstatt statt, das zuletzt mehrfach Ziel queerfeindlicher Angriffe war.

Wir sicherten die Demonstration und das Fest sanitätsdienstlich ab. Dabei hätten wir insgesamt 10 Behandlungen, von denen eine  zur Weiterbehandlung an ein Krankenhaus verwiesen wurde.


Maja: 21 Tage Hungerstreik – Was bedeutet das für den Körper?

Im Juni 2024 lieferte Deutschland rechtswidrig die antifaschistische Person Maja nach Ungarn aus, obwohl ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig war, das diese Auslieferung kurze Zeit später untersagte. Trotzdem sitzt Maja seither in Ungarn unter miserablen hygienischen Zuständen in Isolationshaft, was die Definition von Folter erfüllt. Seit 21 Tagen ist Maja nun im  Hungerstreik und fordert eine Verbesserung dieser Situation.

Da dieser Justizskandal aktuell in aller Munde ist, wollen wir im Folgenden die medizinischen Aspekte eines Hungerstreiks kurz erläutern. Was bedeutet dieser für den Körper? Was geht in ihm vor und ab wann wird es gefährlich?

1.) Typen des Nahrungsmangels
Je nachdem, was bei einem Hungerstreik noch zu sich genommen wird, werden verschiedene Typen unterschieden:
– Bei der teilweisen Nahrungskarenz werden einige Nährstoffe, Spurenelemente, etc. noch zugeführt. Dies können z.B. Vitamine oder Elektrolyte, aber auch Zucker sein. Was zu sich genommen wird, liegt in der Entscheidung der Hungerstreikenden Person. Je nachdem, welche Stoffe der Körper noch bekommt, hält er einen Hungerstreik länger durch und Organschäden oder der Tod treten später auf. Aus medizinischer Sicht sind gerade Vitamin B1 und Elektrolyte wichtig um gesundheitliche Schäden durch den Hungerstreik zu minimieren.
– Bei der vollständigen Nahrungskarenz wird durch die hungerstreikende Person ausschließlich Wasser zu sich genommen. Der Körper stellt vollständig auf einen Hungerstoffwechsel um, den wir euch im Folgenden näher erklären werden.
– Beim trocknen Hungerstreik wird auch keine Flüssigkeit mehr zugeführt. Dadurch treten Symptome deutlich schneller auf. Es kommt innerhalb von 3 bis 4 Tagen ohne komplette Umstellung auf einen Hungerstoffwechsel zu Tod.

2.) Der Hungerstoffwechsel
Beim Hungerstoffwechsel kommt es zu einer Reihe von hormonellen Veränderungen im menschlichen Körper mit dem Ziel die Stoffwechselaktivität zu reduzieren (z.B. durch weniger Schilddrüsenhormone), die Nahrungsaufnahme zu fördern (z.B. durch Steigerung des Hungerhormons Ghrelin und Abnahme des Sättigungshormons Leptin) und Energiereserven des Körpers zu mobilisieren (z.B. durch Abnahme des Insulinspiegels und Steigerung des Hormons Glukagon für den Kohlenhydratabbau).

Zunächst überwiegt der Abbau von Kohlenhydratreserven (Glykogen) aus Leber, Nieren und Muskeln. Diese Reserven sind nach 1 bis 2 Tagen aufgebraucht.

Gleichzeitig beginnt nach und nach ein zunehmender Abbau der Fettreserven, die zu Ketonkörpern als Energieträger umgebaut werden. Dies führt zu einem typischen Acetongeruch beim Ausatmen und einer zunehmenden Übersäuerung des Blutes. Manche Gewebe, wie das Gehirn, können Ketonkörper erst nach einer Umgewöhnungsphase als Energieträger nutzen und sich zuvor auf Glucose angewiesen.

Außerdem baut der Körper vor allem aus der Muskulatur Proteine ab und wandelt diese in Glucose um. Dieser Abbau findet zunächst mit ca. 50 bis 70g pro Tag schneller statt und nimmt im Verlauf ab, sodass nach 2 Wochen noch ca. 20 bis 25g pro Tag abgebaut werden. Um diesen Abbau zu verlangsamen, sollten Hungerstreikende ein leichtes Bewegungstraining absolvieren. Ein Aufbrauchen von 30 bis 50% des Körpereiweiß sind tödlich.

3.) Die Hungerphasen
Wie lange der menschliche Körper eine Nahrungskarenz überstehen kann, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren, z.B. von der körperlichen Konstitution, Vorerkrankungen und Alter, ab. Dies ist einer der Gründe, warum eine medizinische Beratung und anschließende Betreuung durch solidarische Mediziner*innen vor einem Hungerstreik unerlässlich ist, soweit es die Bedingungen zulassen.

Der folgende Verlauf ist typisch, aber kann individuell zeitlich sehr variieren:

Tag 1 bis 3:
Man verspürt ein zunehmendes Hungergefühl, Magenkrämpfe und der Blutzuckerspiegel sinkt. Der Energiebedarf wird durch hauptsächlich Kohlenhydratreserven gedeckt.

Tag 4 bis 13:
Es kommt zu einem spürbaren Gewichtsverlust durch den Abbau von Fett- und Proteinreserven. Durch Verschiebung der Elektrolyte aus den Zellen bleiben die Elektrolytspiegel noch weitgehend konstant. Der Stoffwechsel reduziert sich.

Tag 14 bis 34:
Der Gewichtsverlust setzt sich nun langsamer fort. Die Muskulatur ist bereits deutlich abgebaut. Das Blut übersäuert nach und nach durch die anfallenden Ketonkörper. Normal ist ein PH-Wert zwischen  7,35 und 7,45. Bei weniger als 7,35 spricht man von einer Azidose (Übersäuerung). Spätestens ein PH von 6,8 ist nicht mehr mit dem Leben vereinbar. Es beginnt ein Vitamin B1 Mangel. Vitamin B1, auch Thiamin genannt, wird im Körper zu einem Coenzym verstoffwechselt, welches für die Funktion verschiedener Enzyme unerlässlich ist. Bei einem Mangel kommt es vor allem zu neurologischen Ausfallerscheinungen. Es kann aber auch die Funktion des Herz-Kreislauf-Systems und die Psyche beeinträchtigt werden. Diese Phase wird u.a. durch Müdigkeit, Schwindel, Durchfall, Wassereinlagerungen, Kältegefühl und Bewegungsstörungen symptomatisch. Puls und Blutdruck reduzieren sich.

Tag 35 bis 42:
Diese sogenannte „okuläre Phase“ fällt aufgrund des zunehmenden Vitamin B1 Mangels vor allem durch Symptome der Augen auf. Es kommt zu Sehstörungen, Doppelbildern, Schielen und anderen Bewegungsstörungen der Augen. Hinzu kommen weitere neurologische Symptome, u.a. Übelkeit und Erbrechen, sowie Schluckstörungen. Spätestens jetzt ist ein lebensgefährlicher Zustand erreicht. Durch zunehmende Konzentrationsschwäche und den Verlust des Urteilsvermögens kann  die hungerstreikende Person keine Entscheidungen mehr für sich selbst treffen. Wir empfehlen daher frühzeitig zusammen solidarischen Mediziner*innen den Willen der Hungerstreikenden Person schriftlich zu fixieren, damit medizinisches Personal rechtssicher im Sinne der betroffenen Person Entscheidungen fällen kann. Dies ist nur so lange möglich, wie die Person vollständig zurechnungsfähig ist und sollte daher nicht zu spät erfolgen.

Ab Tag 43:
Nun beginnt die Sterbephase. Dabei kann die genaue Todesursache unterschiedlich sein. Beispielsweise kann es aufgrund des zunehmend geschwächten Immunsystems zu einer schweren Blutvergiftung (Sepsis) kommen, die vom Körper nicht mehr bewältigt werden kann. Bereits vor dieser Phase ist das Immunsystem nicht mehr in gleicher Weise leistungsfähig. Daher sollte um Umgang mit Hungerstreikenden auf eine ausreichende Hygiene und das Tragen einer Maske geachtet werden. Durch die fehlende Energie bricht mit der Zeit aber auch ohne Infektion das Herz-Kreislauf-System zusammen, oft begleitet von Herzrhythmusstörungen, oder es kommt zu einem Multiorganversagen.

4.) Das Refeeding Syndrom
Es erscheint zunächst total unintuitiv, aber Essen nach einem Hungerstreik kann sehr gefährlich sein! Bei vorerkrankten, untergewichtigen oder geschwächten Personen kann es bereits ab dem 5. Tag eines Hungerstreiks bei Nahrungsaufnahme zu einem sogenannten Refeeding Syndrom (RFS) kommen. Ansonsten ist ab dem 10. Tag damit zu rechnen.

Beim Refeeding Syndrom führt die Nahrungsaufnahme zu einer Fehlregulierung von Hormonen und Stoffwechsel. Der plötzlich Anstieg des Blutzuckers sorgt z.B. für eine Ausschüttung von Insulin, das u.a. auch die Aufnahme von Elektrolyten in die Zellen fördert und so den Elektrolytmangel verstärken kann. Ein weiterer Mechanismus ist das Aufbrauchen von Co-Faktoren, wie Vitaminen, wenn der Körper zu schnell wieder auf einen anabolen (aufbauenden) Stoffwechsel umstellt. Diese und weitere Mechanismen können je nach auftretendem Mangel zu vielen unterschiedlichen Symptomen führen, die teilweise lebensgefährlich sein können.

Entsprechend muss nach einem Hungerstreik die Nahrungsaufnahme z.B. über eine Woche hinweg langsam gesteigert werden, um einem Refeeding Syndrom vorzubeugen. Oft ist dies bei einem fortgeschrittenen Hungerstreik nur noch unter klinischen Bedingungen sicher umsetzbar, da es z.B. Laborkontrollen bedarf, um ein Refeeding Syndrom frühzeitig zu erkennen. Tritt ein Refeeding Syndrom auf, so ist i.d.R. eine intensivmedizinische Therapie unumgänglich.

5.) Mehr erfahren
Auf unserer Webseite findet ihr eine Seite mit weiteren Informationen zum Thema Hungerstreik. Diese beschäftigt sich vor allem damit, was vor, während und nach einem Hungerstreik zu beachten ist : https://demosanitaeter.com/hungerstreik/

Für medizinisches Fachpersonal hat der Verein Demokratischer Ärzt*innen (VDÄÄ*) einen Reader herausgebracht, den wir, auch wenn schon 2014 erschienen, sehr empfehlen können:
https://www.vdaeae.de/wp-content/uploads/2014/12/vdaeae_Hungerstreik_Reader_2014.pdf

In der Deklaration von Malta aus dem Jahr 1991 hat der Weltärztebund außerdem Regeln für die Behandlung von Hungerstreikenden festgelegt.

Wenn ihr mehr über Maja erfahren wollt, dann findet ihr hier einige Informationen: https://www.basc.news/maja/

Wir wünschen Maja viel Kraft in dieser schweren Zeit.

Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Artikel ersetzt keine ärztliche Aufklärung vor einem Hungerstreik.


Pressemitteilung Nr. 35: Pforzheim bleibt bunt / Polizei behindert mehrfach Sanitätsdienst

+++ mindestens 14 Patient*innen, 2x Rettungsdienst, Polizei behindert mehrfach medizinische Versorgung, rund 1200 Teilnehmer*innen auf dem CSD +++

Pforzheim, den 14 Juni 2025, überall in Deutschland mobilisiert in diesen Tagen eine erstarkende Neonazi-Szene gegen Christopher-Street-Days (CSDs), so auch an diesem Samstag in Pforzheim. Rund 70 Personen aus dem rechtsextremen Spektrum folgten dem Aufruf des sogenannten „Störtrupps“. Mit 1200 Personen übersteigt die Teilnehmendenzahl des CSDs diese rechten Proteste bei weitem. Außerdem hatten verschiedene antifaschistische Bündnisse zu einem direkten Protest gegen die rechte Demonstration aufgerufen. Hier beteiligten sich rund 300 Personen. Dabei setzte die Polizei die Demonstration der Rechten trotz eines Blockadeversuchs durch. Es kam mehrfach zu kleineren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstrierenden, sowie zu einer Einkesselungssituation.

Als Sanitätsgruppe Süd-West e.V. waren wir als ehrenamtlicher Sanitätsdienst der antifaschistischen Proteste vor Ort und unterstützten die Kolleg*innen des DRK Pforzheim bei der sanitätsdienstlichen Absicherung des Christopher Street Days. Dabei versorgten wir insgesamt 13 Patient*innen (9x chirurgische und 4x internistisch; Versorgungszahlen des DRK Pforzheim nicht mit eingerechnet, Patient*in aus 1. Situation unten nicht mit eingerechnet). Dabei kam es zwei Mal zu einer massiven Behinderung der medizinischen Behandlung durch die Polizei:

  • In der ersten Situation ließ die Polizei unser vor Ort befindliches Sanitätsteam nicht zu der*m Patient*in durch. Stattdessen wurde unserem Team unterstellt, dass wir keine „richtigen Sanitäter*innen“ wären. Im weiteren Verlauf wurden die Anfragen unseres Teams durchgelassen zu werden von der Polizei einfach ignoriert. Die Patient*innenversorgung musste schließlich vom DRK Pforzheim übernommen werden. Die medizinische Behandlung vor Ort wird grundsätzlich durch die höchstausgebildeste medizinische Einsatzkraft geleitet. Diese Funktion hatte in diesem Falle der*die in unserem Team befindeliche Notfallsanitäter*in (3-jährige Berufsausbildung), der*die nicht zur Patientin durchgelassen wurde, inne. Durch dieses Vorgehen der Polizei wurde eine unnötige Gefährdung der zu behandelnden Person erzeugt.
  • In einer zweiten Situation wurde unser Team bei einer Patient*innenbehandlung stark behindert. Trotz mehrfacher Aufforderung ließ die Polizei keinen Platz für eine adäquate Behandlung und stand eng um den*die Patient*in herum. Mehrfach schubste die Polizei ohne ersichtlichen Grund in der Nähe stehende Personen herum und gefährdete unser Team und die Patient*in dadurch zusätzlich. Im Verlauf wurde dann ohne Rücksicht auf die immer noch stattfindende medizinische Versorgung durch die Polizei mit einer Erkennungsdienstlichen Behandlung (ED-Behandlung) begonnen.

Beide Patient*innen wurden zur weiteren Versorgung mit dem öffentlichen Rettungsdienst in ein Krankenhaus gebracht.

Wir kritisieren scharf das Verhalten der Polizei in diesen Situationen, welche vorsätzlich die notfallmedizinische Behandlung behinderte. Bedanken möchten wir uns hingengen beim DRK und dem ASB aus Pforzheim für die gute und kollegiale Zusammenarbeit.

(Die Personenzahlen der Veranstaltungen beruhen auf Schätzung unserer Einsatzkräfte vor Ort und können von den Angaben der Polizei und Veranstalter*innen abweichen.)


CSD Tübingen

Am gestrigen Samstag sicherten wir den Christopher Street Day (CSD) in Tübingen sanitätsdienstlich ab. Der Name dieses Protesttags für queere Rechte geht auf einen Aufstand queerer Menschen am 28. Juni 1969 in der New Yorker Christopher Street zurück. Hintergrund waren wiederkehrende, gewalttätige Razzien der Polizei in Kneipen mit vielen trans- und homosexuellen Kund*innen, so auch an diesem Tag im Stonewall Inn, das dem Aufstand den Namen Stonewall-Aufstand gab. Es kam zu tagelangen Straßenschlachten. Im Jahr nach dem Aufstand fand eine Demonstration in Gedenken an den Aufstand statt. In den Folgejahre entstand daraus die internationale Tradition im Frühsommer für die Rechte von LSBTTIQA+ Personen auf die Straße zu gehen.

Der CSD in Tübingen startete in diesem Jahr vom Marktplatz vor dem Rathaus. Nach einer kurzen Auftaktkundgebung, bei der auch ein frisch vermähltes Ehepaar auf dem Balkon des Rathauses spontan mit großem Applaus begrüßt wurde, setzte sich der Demonstrationszug mit rund 2300 Personen in Bewegung. Die Pride lief bei wechselhaftem Wetter in einem Bogen durch die Innenstadt und machte an der Kreuzung Wilhelmsstraße/Am Stadtgraben eine Zwischenkundgebung. Nach der anschließenden Überquerung der Eberhardsbrücke bog der CSD in die Uhlandstraße ein und endete am RACT Festival, das am Kastanienrondell stattfand.

Wir begleiteten die bunte Demonstration mit 8 Sanitätskräften und hatten 4 Behandlungen. Das RACT Festival wurde vom DRK Tübingen sanitätsdienstlich abgesichert.