Maja: 21 Tage Hungerstreik – Was bedeutet das für den Körper?

Im Juni 2024 lieferte Deutschland rechtswidrig die antifaschistische Person Maja nach Ungarn aus, obwohl ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig war, das diese Auslieferung kurze Zeit später untersagte. Trotzdem sitzt Maja seither in Ungarn unter miserablen hygienischen Zuständen in Isolationshaft, was die Definition von Folter erfüllt. Seit 21 Tagen ist Maja nun im  Hungerstreik und fordert eine Verbesserung dieser Situation.

Da dieser Justizskandal aktuell in aller Munde ist, wollen wir im Folgenden die medizinischen Aspekte eines Hungerstreiks kurz erläutern. Was bedeutet dieser für den Körper? Was geht in ihm vor und ab wann wird es gefährlich?

1.) Typen des Nahrungsmangels
Je nachdem, was bei einem Hungerstreik noch zu sich genommen wird, werden verschiedene Typen unterschieden:
– Bei der teilweisen Nahrungskarenz werden einige Nährstoffe, Spurenelemente, etc. noch zugeführt. Dies können z.B. Vitamine oder Elektrolyte, aber auch Zucker sein. Was zu sich genommen wird, liegt in der Entscheidung der Hungerstreikenden Person. Je nachdem, welche Stoffe der Körper noch bekommt, hält er einen Hungerstreik länger durch und Organschäden oder der Tod treten später auf. Aus medizinischer Sicht sind gerade Vitamin B1 und Elektrolyte wichtig um gesundheitliche Schäden durch den Hungerstreik zu minimieren.
– Bei der vollständigen Nahrungskarenz wird durch die hungerstreikende Person ausschließlich Wasser zu sich genommen. Der Körper stellt vollständig auf einen Hungerstoffwechsel um, den wir euch im Folgenden näher erklären werden.
– Beim trocknen Hungerstreik wird auch keine Flüssigkeit mehr zugeführt. Dadurch treten Symptome deutlich schneller auf. Es kommt innerhalb von 3 bis 4 Tagen ohne komplette Umstellung auf einen Hungerstoffwechsel zu Tod.

2.) Der Hungerstoffwechsel
Beim Hungerstoffwechsel kommt es zu einer Reihe von hormonellen Veränderungen im menschlichen Körper mit dem Ziel die Stoffwechselaktivität zu reduzieren (z.B. durch weniger Schilddrüsenhormone), die Nahrungsaufnahme zu fördern (z.B. durch Steigerung des Hungerhormons Ghrelin und Abnahme des Sättigungshormons Leptin) und Energiereserven des Körpers zu mobilisieren (z.B. durch Abnahme des Insulinspiegels und Steigerung des Hormons Glukagon für den Kohlenhydratabbau).

Zunächst überwiegt der Abbau von Kohlenhydratreserven (Glykogen) aus Leber, Nieren und Muskeln. Diese Reserven sind nach 1 bis 2 Tagen aufgebraucht.

Gleichzeitig beginnt nach und nach ein zunehmender Abbau der Fettreserven, die zu Ketonkörpern als Energieträger umgebaut werden. Dies führt zu einem typischen Acetongeruch beim Ausatmen und einer zunehmenden Übersäuerung des Blutes. Manche Gewebe, wie das Gehirn, können Ketonkörper erst nach einer Umgewöhnungsphase als Energieträger nutzen und sich zuvor auf Glucose angewiesen.

Außerdem baut der Körper vor allem aus der Muskulatur Proteine ab und wandelt diese in Glucose um. Dieser Abbau findet zunächst mit ca. 50 bis 70g pro Tag schneller statt und nimmt im Verlauf ab, sodass nach 2 Wochen noch ca. 20 bis 25g pro Tag abgebaut werden. Um diesen Abbau zu verlangsamen, sollten Hungerstreikende ein leichtes Bewegungstraining absolvieren. Ein Aufbrauchen von 30 bis 50% des Körpereiweiß sind tödlich.

3.) Die Hungerphasen
Wie lange der menschliche Körper eine Nahrungskarenz überstehen kann, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren, z.B. von der körperlichen Konstitution, Vorerkrankungen und Alter, ab. Dies ist einer der Gründe, warum eine medizinische Beratung und anschließende Betreuung durch solidarische Mediziner*innen vor einem Hungerstreik unerlässlich ist, soweit es die Bedingungen zulassen.

Der folgende Verlauf ist typisch, aber kann individuell zeitlich sehr variieren:

Tag 1 bis 3:
Man verspürt ein zunehmendes Hungergefühl, Magenkrämpfe und der Blutzuckerspiegel sinkt. Der Energiebedarf wird durch hauptsächlich Kohlenhydratreserven gedeckt.

Tag 4 bis 13:
Es kommt zu einem spürbaren Gewichtsverlust durch den Abbau von Fett- und Proteinreserven. Durch Verschiebung der Elektrolyte aus den Zellen bleiben die Elektrolytspiegel noch weitgehend konstant. Der Stoffwechsel reduziert sich.

Tag 14 bis 34:
Der Gewichtsverlust setzt sich nun langsamer fort. Die Muskulatur ist bereits deutlich abgebaut. Das Blut übersäuert nach und nach durch die anfallenden Ketonkörper. Normal ist ein PH-Wert zwischen  7,35 und 7,45. Bei weniger als 7,35 spricht man von einer Azidose (Übersäuerung). Spätestens ein PH von 6,8 ist nicht mehr mit dem Leben vereinbar. Es beginnt ein Vitamin B1 Mangel. Vitamin B1, auch Thiamin genannt, wird im Körper zu einem Coenzym verstoffwechselt, welches für die Funktion verschiedener Enzyme unerlässlich ist. Bei einem Mangel kommt es vor allem zu neurologischen Ausfallerscheinungen. Es kann aber auch die Funktion des Herz-Kreislauf-Systems und die Psyche beeinträchtigt werden. Diese Phase wird u.a. durch Müdigkeit, Schwindel, Durchfall, Wassereinlagerungen, Kältegefühl und Bewegungsstörungen symptomatisch. Puls und Blutdruck reduzieren sich.

Tag 35 bis 42:
Diese sogenannte „okuläre Phase“ fällt aufgrund des zunehmenden Vitamin B1 Mangels vor allem durch Symptome der Augen auf. Es kommt zu Sehstörungen, Doppelbildern, Schielen und anderen Bewegungsstörungen der Augen. Hinzu kommen weitere neurologische Symptome, u.a. Übelkeit und Erbrechen, sowie Schluckstörungen. Spätestens jetzt ist ein lebensgefährlicher Zustand erreicht. Durch zunehmende Konzentrationsschwäche und den Verlust des Urteilsvermögens kann  die hungerstreikende Person keine Entscheidungen mehr für sich selbst treffen. Wir empfehlen daher frühzeitig zusammen solidarischen Mediziner*innen den Willen der Hungerstreikenden Person schriftlich zu fixieren, damit medizinisches Personal rechtssicher im Sinne der betroffenen Person Entscheidungen fällen kann. Dies ist nur so lange möglich, wie die Person vollständig zurechnungsfähig ist und sollte daher nicht zu spät erfolgen.

Ab Tag 43:
Nun beginnt die Sterbephase. Dabei kann die genaue Todesursache unterschiedlich sein. Beispielsweise kann es aufgrund des zunehmend geschwächten Immunsystems zu einer schweren Blutvergiftung (Sepsis) kommen, die vom Körper nicht mehr bewältigt werden kann. Bereits vor dieser Phase ist das Immunsystem nicht mehr in gleicher Weise leistungsfähig. Daher sollte um Umgang mit Hungerstreikenden auf eine ausreichende Hygiene und das Tragen einer Maske geachtet werden. Durch die fehlende Energie bricht mit der Zeit aber auch ohne Infektion das Herz-Kreislauf-System zusammen, oft begleitet von Herzrhythmusstörungen, oder es kommt zu einem Multiorganversagen.

4.) Das Refeeding Syndrom
Es erscheint zunächst total unintuitiv, aber Essen nach einem Hungerstreik kann sehr gefährlich sein! Bei vorerkrankten, untergewichtigen oder geschwächten Personen kann es bereits ab dem 5. Tag eines Hungerstreiks bei Nahrungsaufnahme zu einem sogenannten Refeeding Syndrom (RFS) kommen. Ansonsten ist ab dem 10. Tag damit zu rechnen.

Beim Refeeding Syndrom führt die Nahrungsaufnahme zu einer Fehlregulierung von Hormonen und Stoffwechsel. Der plötzlich Anstieg des Blutzuckers sorgt z.B. für eine Ausschüttung von Insulin, das u.a. auch die Aufnahme von Elektrolyten in die Zellen fördert und so den Elektrolytmangel verstärken kann. Ein weiterer Mechanismus ist das Aufbrauchen von Co-Faktoren, wie Vitaminen, wenn der Körper zu schnell wieder auf einen anabolen (aufbauenden) Stoffwechsel umstellt. Diese und weitere Mechanismen können je nach auftretendem Mangel zu vielen unterschiedlichen Symptomen führen, die teilweise lebensgefährlich sein können.

Entsprechend muss nach einem Hungerstreik die Nahrungsaufnahme z.B. über eine Woche hinweg langsam gesteigert werden, um einem Refeeding Syndrom vorzubeugen. Oft ist dies bei einem fortgeschrittenen Hungerstreik nur noch unter klinischen Bedingungen sicher umsetzbar, da es z.B. Laborkontrollen bedarf, um ein Refeeding Syndrom frühzeitig zu erkennen. Tritt ein Refeeding Syndrom auf, so ist i.d.R. eine intensivmedizinische Therapie unumgänglich.

5.) Mehr erfahren
Auf unserer Webseite findet ihr eine Seite mit weiteren Informationen zum Thema Hungerstreik. Diese beschäftigt sich vor allem damit, was vor, während und nach einem Hungerstreik zu beachten ist : https://demosanitaeter.com/hungerstreik/

Für medizinisches Fachpersonal hat der Verein Demokratischer Ärzt*innen (VDÄÄ*) einen Reader herausgebracht, den wir, auch wenn schon 2014 erschienen, sehr empfehlen können:
https://www.vdaeae.de/wp-content/uploads/2014/12/vdaeae_Hungerstreik_Reader_2014.pdf

In der Deklaration von Malta aus dem Jahr 1991 hat der Weltärztebund außerdem Regeln für die Behandlung von Hungerstreikenden festgelegt.

Wenn ihr mehr über Maja erfahren wollt, dann findet ihr hier einige Informationen: https://www.basc.news/maja/

Wir wünschen Maja viel Kraft in dieser schweren Zeit.

Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Artikel ersetzt keine ärztliche Aufklärung vor einem Hungerstreik.