Während in Deutschland seit geraumer Zeit die Verwendung der Tränengase CS und CN in den Hintergrund gerückt ist, nahm die Verwendung des sogenannten Pfeffersprays durch die Polizei zu. Beschwerden in Folge von Pfeffersprayeinwirkung stellen bei Demonstrationen längst mit Abstand die häufigste Indikation für eine medizinische Behandlung dar. Damit ist klar, dass wir in unserer Tätigkeit einen besonderen Fokus auf die Behandlung dieser i.d.R. durch Polizeimaßnahmen entstandenen Verletzungen legen. Im Folgenden möchten wir einen Überblick über dieses spezielle Notfallbild geben.
Verwendung
Proteste gegen Naziaufmarsch in Göppingen 2013 (Bildquelle: Beobachter News)
Gängigerweise wird Pfefferspray in kleinen, bis zu 30ml großen Sprühdosen mit Stickstoff als Treibmittel vertrieben, die den Wirkstoff als wässrige Emulsion entweder in Form eines dünnen Strahls oder als Nebel abgeben. Qualitativ hochwertige Geräte erreichen dabei eine Reichweite von bis zu sechs Metern. Seltener kommt in manchen Sprühgeräten auch ein Gel oder Schaum zum Einsatz, welcher sich schlechter von der betroffenen Körperregion entfernen lässt und dadurch eine intensivere Einwirkung hervorruft. Gel oder Schaum bieten außerdem den Vorteil einer geringeren Aerosolbildung, sodass der*die Nutzer*in des Sprühgerätes gerade in geschlossenen Räumen oder bei starkem Wind weniger Gefahr läuft, selbst beeinträchtigt zu werden.
Wohnraumdemonstration Stuttgart 2019
(Bildquelle: Wolfgang Weichert, Beobachter News)
Zusätzlich sind bei der Polizei auch weit größere Reizstoffsprühgeräte (z.B. 400ml) mit entsprechend gesteigerter Reichweite und Nutzungsdauer in Verwendung. Außerdem werden seit jüngerer Zeit (2010) gelegentlich Geschosse, sogenannte Pepperballs, verwendet, die den Wirkstoff Capsaicin erst beim Auftreffen auf das Zielobjekt freigeben und auf diese Weise sehr gezielt und auf größere Distanz eingesetzt werden können.
Pfefferspray soll im Polizeieinsatz vor allem der gezielten Ausschaltung einzelner Personen oder kleiner Personengruppen dienen, wird aber auch häufig relativ ungezielt gegen größere Menschenmengen eingesetzt. Zur Räumung größerer Gebiete ist es allerdings deutlich schlechter geeignet, da es sich nicht in gleicher Weise in der Luft verteilt, sodass in Granaten und zur Beimischung in Wasserwerfern weiterhin die Tränengase CS und CN zum Einsatz kommen.
Rechtliches
Während Pfefferspray in internationalen Konflikten völkerrechtlich geächtet ist, ist seine Abgabe in Deutschland bereits an Minderjährige rechtlich möglich. Trotzdem hat es in Deutschland nie ein ordnungsgemäßes Zulassungsverfahren des Wirkstoffs Oleoresin Capsicum (OC), dem Wirkstoff von Pfeffersprays, für Reizstoffsprühgeräte nach Waffengesetz gegeben. Ein solches Prüfverfahren würde Tierversuche voraussetzen, die nach dem aktuell geltenden Tierschutzgesetz nicht durchgeführt werden dürfen. Umgangen werden die daraus resultierenden Beschränkungen jedoch relativ einfach mit einem Aufdruck “Nur zur Tierabwehr”. Damit handelt es sich im Sinne des Waffengesetzes nicht mehr um eine Waffe, sondern lediglich um ein Tierabwehrspray. Den Einsatz gegen Menschen kann dieser Aufdruck jedoch natürlich nicht verhindern.
Auf Versammlungen ist dem*der Normalbürger*in das Mitführen dieser Tierabwehrsprays jedoch grundsätzlich untersagt. Polizeibeamt*innen dürfen hingegen Pfeffersprays auch als Mittel des unmittelbaren Zwangs gegen Menschen führen. Grundlage sind Ausnahmegenehmigungen der Innenministerien. Dabei müssen die Polizist*innen die Verwendung weder begründen noch protokollieren.
Wirkstoff
Der übliche Wirkstoff von Pfefferspray ist Oleoresin Capsicum (OC), das sich aus den Bestandteilen Capsaicin (69 %), Dihydrocapsicain (22%), Nordihydrocapsicain (7%), Homodihydrocapsicain (1%) und Homocapsaicin (1%) zusammensetzt. Es handelt sich um ein Extrakt aus dem Fruchtfleisch verschiedener exotischer Chili-Paprikapflanzen (Capicum), das schon seit langem als medizinischer Wirkstoff in Schmerz- und Wärmesalben zur Behandlung von rheumatischen Beschwerden und Muskelverspannungen sowie in Präparaten zur Behandlung der Schuppenflechte, ferner als würzender Zusatz in der Lebensmittelherstellung eingesetzt wird. Die “Schärfe” wird gegenüber dem üblichen Pfeffergewürz mit dem 3000-fachen angegeben. Reine Capsaicin- und Dihydrocapsaicin-Kristalle haben auf der allgemein verwendeten Schärfeskala (Scoville-Skala) einen Grad von 16.000.000. Die weniger häufigen Bestandteile Homocapsaicin, Homodihydrocapsicain und Nordihydrocapsicain erreichen einen Grad von 9.170.000. Handelsübliche Pfeffersprays kommen durch die Verdünnung auf einen Grad von 2.000.000 bis 5.300.000. Oleoresin Capsicum (OC) ist ein wasserabweisender und fettlöslicher, farbloser Feststoff, der aus kleinen Kristallen besteht. Durch seine antibakterielle und fungizide Wirkung trägt er in Lebensmitteln zu deren Konservierung bei. Im Pfefferspray liegt er in Flüssigkeit gelöst vor.
Wohnraumdemonstration Stuttgart 2019
(Bildquelle: Alfred Denzinger, Beobachter News)
In jüngerer Zeit wird ein ähnlicher Wirkstoff auch synthetisch hergestellt. Dem Pseudocapsaicin, auch Pelargonsäure-Vanillylamid (PAVA) oder Nonivamid genannt, fehlt gegenüber dem Capsaicin eine Doppelbindung und eine Methylgruppe in der Seitenkette. Die Wirkung von PAVA ist allerdings vergleichbar.
Als Lösungsmittel finden Ethanol, 2-Propanol oder n-Hexan ihre Anwendung, die mit Wasser weiter verdünnt werden. Bei Polizeigeräten ergibt sich dadurch in Deutschland ein Wirkstoffgehalt von maximal 0,33% nach der technischen Richtlinie. Propan, Butan oder Stickstoff dienen als Treibmittel.
Wirkmechanismus
Oleoresin Capsicum (OC) dringt innerhalb von Sekunden in die Haut ein und wirkt an sogenannten TRPV1-Rezeptorkanälen (Transient Receptor Potential Vanilloid 1), die Nervenfasern aktivieren, welche für die Empfindung von Schmerzreizen durch Hitze verantwortlich sind. Dies führt zur Wahrnehmung eines Verbrennungsschmerzes ohne wirkliche Verbrennung. Außerdem werden lokale Botenstoffe (u.a. Substanz P) von den Nervenfasern freigesetzt, die verschiedene entzündliche Reaktionen auslösen. So kommt es u.a. zu einer Weitung der Blutgefäße, einer erhöhten Durchlässigkeit der Gefäßwände und einer Ansammlung von Zellen des Immunsystems im betroffenen Gewebe. Die Folge sind eine Rötung und Überwärmung des betroffenen Hautareals, sowie Schmerzen und Wassereinlagerungen. Durch die Entzündungsreaktion kann es zur Ausschüttung größerer Mengen des Botenstoffs Histamin kommen, der eine Quaddelbildung hervorrufen und starke allergieähnliche Reaktionen bedingen kann. Im Bereich der Schleimhäute tritt die Wirkung aufgrund der verringerten Barrierefunktion deutlich schneller und ausgeprägter auf.
Die ausgelösten Schmerzen bedingen eine Stresssituation für Körper und Psyche der betroffenen Person mit Blutdruck- und Pulssteigerung, sowie einer möglicherweise verringerten Krampfschwelle. Gerade bei vorerkrankten Personen kann Pfefferspray daher schwere medizinische Notfälle auslösen. Bei längerer Einwirkung wird vermehrt Stickstoffmonoxid ausgeschüttet, welches über die Weitung auch zentraler Blutgefäße zu einer Blutdrucksenkung führen kann. Auf die Reizung durch Oleoresin Capsicum reagiert der Körper außerdem mit der Ausschüttung von Endorphinen (“Glückshormonen”), wodurch sich die Schmerztoleranz erhöhen und sich ein der aktuellen Situation widersprechendes Glücksgefühl einstellen kann, welches Pepper-High genannt wird.
Auch die Lösungsmittel für Pfefferspray sind nicht selten gesundheitsschädlich und können neben Reizungen der Schleimhäute auch schwere gesundheitliche Folgen hervorrufen. Aufgrund der geringen Konzentration und der schnellen Verflüchtigung an der Luft kommt ihnen aber eher eine geringe Bedeutung für die Folgen der Pfeffersprayeinwirkung zu.
Symptome
Der oben beschriebene Wirkmechanismus ruft je nach betroffener Körperstelle verschiedene Symptome hervor. Grundsätzlich treten in der Regel vorübergehende körperliche Beeinträchtigungen auf, aber auch langfristige körperliche und seelische Auswirkungen können nicht ausgeschlossen werden.
Augen
Die Einwirkung von Pfefferspray auf die Augen kann zu zeitweisem oder sehr selten dauerhaftem Sehverlust oder -einschränkung führen. Betroffene empfinden einen heftigen und brennenden Schmerz. Die Bindehaut rötet sich und schwillt an, während der Tränenfluss zunimmt. Oft schließen dich die Augenlider krampfhaft. Durch Wirkstoff-Kristalle im Sprühnebel kann es zu Schäden an der Hornhaut kommen. Dieses Phänomen ist bei Pfefferspray zwar als geringer ausgeprägt anzusehen, als bei den Tränengasen CN und CS, kann aber auch hier nicht ausgeschlossen werden. Schäden an der Hornhaut können durch die Benutzung von Kontaktlinsen mit einhergehender Depotbildung unter der Linse verstärkt werden. Diese sollten auch in den folgenden Tagen einer Pfeffersprayeinwirkung nicht getragen werden, da minimale Wirkstoffreste so konserviert werden können. Anwendungsdistanzen von unter einem Meter können außerdem unmittelbar zu mechanischen Augenschäden, vor allem an der Hornhaut, führen, die ggf. narbig abheilen und zu dauerhaften Sehstörungen beitragen können.
Haut
Auf der Haut verspürt das Opfer eines Pfeffersprayangriffs einen starken, brennenden Schmerz. Es kommt zu Rötung, Juckreiz und Quaddelbildung. In schweren Fällen können auch Blasen entstehen. Die Wirkung an “normalen” Hautarealen tritt bei Pfefferspray im Gegensatz zu CN und CS schneller und ohne weitere begünstigende Faktoren, wie beispielsweise Nässe, auf. Entsprechend schneller sind auch schwerere Hautschäden zu erreichen.
Atemwege
Die zweifellos gefährlichste Wirkung ist der Effekt auf die Atemwege. Üblicherweise kommt es nach dem Einatmen des Wirkstoffs oder nach direkten Treffern in den Mund zu heftigem Husten- und Würgereiz. Die Speichelsekretion nimmt zu. Insbesondere bei vorerkrankten Personen kann es zu lebensgefährlichen allergieähnlichen Reaktionen mit akuter Atemnot bis zum Atemstillstand in Folge einer oberen oder unteren Atemwegseinengung z.B. eines Asthmaanfalls kommen. Auch ein Krampf der Stimmbänder mit völligem Verschluss der Atemwege und daraus resultierendem Atemstillstand ist möglich. Für Personen, die an Asthma bronchiale, einschlägigen Allergien oder Infektionen erkrankt sind oder durch Schwangerschaft, Alter oder körperliche Beschädigungen Einschränkungen der Atmung nicht mehr kompensieren können, stellt der Einsatz von Pfefferspray potentiell eine akute Lebensgefährdung dar.
Magen-Darm-Trakt
Das Schlucken des Reizstoffes führt zu einer starken Schleimhautreizung mit brennendem Schmerz. Bei ausreichender Aufnahme kann es zu Übelkeit und Erbrechen kommen.
Nervensystem
Der Wirkstoff kann Kopfschmerzen, Schläfrigkeit und Benommenheit verursachen, aber auch situativ unangemessene Glücksgefühle hervorrufen. In Folge anderer Komplikationen (z.B. der Atemwege) können Bewusstseinseinschränkungen bis zum Koma auftreten. In Einzelfällen wurden Krampfanfälle nach Pfeffersprayeinwirkung beobachtet.
Psyche
Die bisher beschriebenen körperlichen Reaktionen sind alle geeignet, zumindest unaufgeklärte Betroffene in Angst und Schrecken zu versetzen. Folge können u.a. unvorhersehbares und sich selbst und andere gefährdendes Verhalten, übermäßige Atmung, Aggressionssteigerung, Orientierungslosigkeit, Beklemmungsgefühle und andere psychische Stress- und Panikreaktionen sein. Gerade bei älteren Personen mit entsprechenden Vorerkrankungen kann es schmerz- und stressbedingt u.a. zu akuten Blutdruckkrisen mit zum Teil lebensbedrohlichen Folgen kommen. Auch die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht ausgeschlossen werden.
Chronische Auswirkungen
Bei häufiger Einwirkung auf die Augen wird immer wieder von einer leichten Verschlechterung der Sehschärfe berichtet. Kontinuierliche Überdosierung des Wirkstoffs kann zu einer chronischen Entzündung des Magens , sowie Nieren- und Leberschäden führen.
Wirkdauer
Die Wirkung von Oleoresin Capsicum (OC) erreicht bereits wenige Sekunden nach der Einwirkung ihr Maximum. Nach 5 bis 10 Minuten beginnt die Intensität des Schmerzes nachzulassen. Bei komplikationslosem Verlauf hält die Wirkung nicht über 45 bis 60 Minuten an. Dabei sind deutliche individuelle Unterschiede möglich. Ursächlich für die begrenzte Wirkdauer ist nicht primär der Abbau des Wirkstoffs, sondern ein Aufbrauchen der Substanz-P-Reserven (siehe Wirkmechanismus) in der betroffenen Körperregion. Werden angrenzende Körperregionen später durch den Wirkstoff benetzt, so kann es hier erneut zu Symptomen kommen.
Wechselwirkungen
Wissenschaftlich belegt ist eine deutliche Steigerung der Tödlichkeit von Oleoresin Capsicum (OC) nach vorheriger Einnahme von Kokain. Ähnliche Wechselwirkungen werden auch bei anderen aufputschend wirkenden Drogen und Medikamenten, wie Amphetaminen, Antidepressiva oder MDMA vermutet. In den USA und Deutschland sind etliche Todesfälle unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss stehender Personen nach Pfeffersprayeinwirkung dokumentiert.
Alkohol führt zu einer Wirkverstärkung des Wirkstoffs von Pfefferspray. Durch den Alkohol wird die gefäßerweiternde Wirkung von Oleoresin Capsicum (OC) verstärkt. Außerdem öffnet Alkohol die Poren, sodass der Wirkstoff leichter in die Haut eindringen kann.
Behandlungsmaßnahmen
Proteste gegen rechten Aufmarsch Mainz 2022
(Bildquelle: Fabian Janssen)
Hartnäckig halten sich eine Reihe von Mythen unter den Demonstrantinnen, aber auch in den Kreisen der Demosanitäterinnen. Gerne wird nach dem Allheilmittel gegen Pfefferspray gesucht, munter drauf los probiert oder es werden diverse Hausmittel angepriesen, als wären sie ein Allheilmittel. Dabei werden auf der Suche nach der Patentlösung oft medizinische Grundlagen verkannt, während der Placeboeffekt sein Übriges tut. So kommt es zur fehlerhaften Anwendung verschiedenster Stoffe mit dem gesamten Spektrum möglicher Nebenwirkungen und daraus resultierender medizinischer Probleme.
Wir werden hier nicht näher auf diese Fehlinformationen eingehen um diese nicht weiter zu verbreiten. Wir können euch aber sicher sagen: Es gibt nicht das ultimative Heilmittel gegen Pfefferspray. Schädigt bitte nicht euch und eure Mitdemonstrant*innen, indem ihr Medikamente und andere Stoffe entgegen ihrer Bestimmung benutzt. Grundsätzlich solltet ihr die Anwendung von Medikamenten bei Betroffenen von Pfefferspray, wenn diese in Einzelfällen notwendig werden, medizinischem Fachpersonal überlassen.
Basismaßnahmen
Ob als Ersthelfer*in oder als professionelle*r Helfer*in, bei der Behandlung von Opfern einer Pfefferspray-Attacke sollte stets da drauf geachtet werden, nicht selbst mit dem Kampfstoff in Berührung zu kommen. Da schon ein beruhigendes Handauflegen zu brennenden Fingern führen kann, sollten immer Handschuhe getragen werden. Hält die Auseinandersetzung in der Umgebung weiter an, müsst ihr die Verletzten zunächst in ein ruhigeres Umfeld möglichst mit frischer Luft und ohne Gedränge bringen, um sie und euch nicht weiter zu gefährden. Bedenkt, dass man mit Pfefferspray in den Augen unter Umständen nichts mehr sehen kann. Bleibt daher bei der verletzten Person und geleitet sie aus dem Gefahrenbereich. Dabei sollte der*die Verletzte durch Zuwendung und wenn möglich die Anwesenheit vertrauter Personen beruhigt werden. Bei nur leichter Einwirkung kann der*die Betroffene stehen bleiben. Fühlt er*sie sich nicht gut, sollte sie*er sich mit aufrechtem Oberkörper hin setzten.
Pneumatische Augenspülflasche
Die wichtigste Behandlungsmaßnahme bei Betroffenen einer Pfefferspray-Attacke ist das Spülen der betroffenen Haut- und Schleimhautbereiche, vor allem der Augen. Wer nichts Besseres zur Hand hat, kann dies gut mit einer handelsüblichen Wasserflasche tun. Viele Demonstrant*innen nutzen den Trick, dass sie eine PET-Flasche mitführen, für die sie einen zweiten Deckel mit Löchern dabei haben. Muss gespült werden, so kann der dichte Deckel der Flasche gegen den mit Löchern ausgetauscht werden. Noch besser sind pneumatische Augenspülflaschen. Diese besitzen einen Plastikschlauch im Inneren, der es erlaubt gegen die Schwerkraft von unten nach oben zu spülen, indem man auf die Flasche drückt. Die betroffene Person muss sich dabei nach vorne beugen. Das kontaminierte Wasser kann dann einfach der Schwerkraft folgend abfließen, statt auf noch nicht kontaminierte Hautbereiche und Kleidung der betroffenen Person zu gelangen.
Auf diese Weise kann effektiver bei geringerem Wasserverbrauch gespült werden, ohne Schaden anzurichten. Auch im Winter bleiben Betroffene weitgehend trocken und müssen so später nicht in nasser Kleidung frieren. Doch Vorsicht beim Kauf: Viele handelsübliche Augenspülflaschen sind nicht pneumatisch und somit nicht besser als die PET-Flasche mit dem löchrigen Deckel. Von der häufig gesehenen Benutzung von Laborspritzflaschen raten wir ab, da diese gerade in unübersichtlichen Situationen die Gefahr mit sich bringen, mit ihrer Spitze unbeabsichtigt das zu spülende Auge zu verletzen.
Wie bereits weiter oben beschrieben löst der Wirkstoff Oleoresin Capsicum (OC) eine mit einer Verbrennung vergleichbare Symptomatik aus. Dabei zieht er innerhalb von Sekunden in die Haut ein, sodass sich der wirksame Anteil des Wirkstoffs durch Entfernungsversuche bereits nach wenigen Sekunden kaum entfernen lässt. Die meisten Demonstrant*innen gehen davon aus, dass der Sinn der Spülung in der Entfernung des Wirkstoffs liegen würde. Auch wenn durch die Spülung überschüssige Mengen Pfefferspray von der Haut gewaschen werden können, was die Kontaminationsgefahr für noch nicht betroffene Hautbereiche zumindest bei Benutzung einer pneumatischen Augenspülflasche reduzieren kann, so erreicht man dadurch keine Entfernung der wirksamen Anteile in der Haut. Sinn einer Spülung betroffener Haut- und Schleimhautbereiche, vor allem der Augen, ist die dadurch erzeugte kühlende Wirkung, welche unmittelbar der Wirkung des Capsaicins entgegen wirkt. Dabei kommt im Endeffekt der selbe Mechanismus zur Anwendung, wie bei der Kühlung einer Verbrennung am Finger unter dem Wasserhahn. Hintergrund ist die Polymodalität der Capcaicin-Rezeptoren, welche auch auf Temperaturänderungen reagieren. Hierbei ist zu beachten, dass die Kühlung primär nur für die Dauer der Spülung den Schmerz nimmt und dieser nach Beendigung wiederkehrt. Eine Besserung nach längerer Kühlung kommt durch eine Verringerung der Entzündungsreaktion als Effekt der Kühlung und durch das natürliche Aufbrauchen der Botenstoffe zustande.
Als Spülflüssigkeit solltet ihr sauberes Wasser, z.B. Mineralwasser ohne Kohlensäure, Leitungswasser oder Kochsalzlösung verwenden. Professionelle Augenspülflaschen werden häufig mit 0,9%iger Kochsalzlösung befüllt verkauft. Diese kann gut verwendet werden. Ihr müsst nach einer Verwendung aber keine neue Flasche kaufen, sondern könnt diese wieder befüllen. Wir empfehlen die Verwendung 2%iger Kochsalzlösung. Diese kann in einem sauberen Kochtopf selbst abgekocht (20g Kochsalz ohne Jod pro 1 Liter Leitungswasser) und von Zeit zu Zeit ersetzt werden, wenn sie nicht verwendet wurde. Hintergrund ist die bessere Haltbarkeit der abgekochten 2%igen Kochsalzlösung und der osmotischen Gradient, der der Haut theoretisch Wirkstoff entziehen kann. Dieser Effekt ist allerdings vermutlich äußerst gering ausgeprägt, sodass sich praktisch kaum ein Unterschied zur Spülung mit Leitungswasser feststellen lässt. Spezielle puffernde Augenspüllösungen bieten hingegen keinen Vorteil bei teureren Preisen, da es sich bei Pfefferspray weder um eine Säure noch um eine Lauge handelt.
Trägt die betroffene Person Kontaktlinsen, so müsst ihr diese unbedingt entfernen. Darunter können sich Wirkstoffdepots ansammeln, die zu einer kontinuierlichen Reizung und Schädigung der Hornhaut des Auges führen können.
Solidarische Hilfe nach Pfeffersprayeinsatz
Proteste gegen “Demo für Alle” in Stuttgart 2016
(Bildquelle: Beobachter News)
Die Versorgung von Verletzten durch Pfefferspray ist Teamarbeit. Nicht selten werden viele Demonstrant*innen gleichzeitig durch Pfefferspray verletzt. Selbst wenn relativ viele Demosanitäter*innen vor Ort sind, können sie in solchen Situationen nicht mehr alleine alle Betroffenen versorgen. Außerdem hält die Wirkung von Pfefferspray zu lange an und würde somit die Demosanitäter*innen sehr lange bei einer Person binden, sodass sie für niemanden anders zur Verfügung stünden. Oft müssen sich Demosanitäter*innen außerdem auf schwerer Verletzte konzentrieren.
Wir freuen uns, dass es praktisch eine Selbstverständlichkeit ist, dass nicht betroffene Demonstrant*innen uns in diesen Situationen aktiv unter die Arme greifen, indem sie selbst Augen spülen, Betroffene betreuen und in Sicherheit bringen, oder Wasser organisieren. Diese solidarische Selbsthilfe macht eine effektive Versorgung der Betroffenen erst möglich und funktioniert auch dann, wenn keine Demosanitäter*innen vor Ort sind.
Medikamentöse Behandlung durch Fachkräfte
Proteste gegen Naziaufmarsch Göppingen 2013
(Bildquelle: Beobachter News)
Wir wollen hier auch zur Information anderer Fachkräfte kurz auf die medikamentöse Behandlung von Verletzungen durch Pfefferspray eingehen. Dabei möchten wir ausdrücklich betonen, dass die hier erwähnten Medikamente keine reguläre Behandlungsstrategie darstellen, sondern besonderen Einzelfällen vorbehalten bleiben sollten. Außerdem weisen wir darauf hin, dass die Anwendung von Medikamenten hoch ausgebildeten Fachkräften obliegt, die auch daraus resultierende Probleme sicher beherrschen können. Die im Folgenden genannten Therapieoptionen sind nicht für die Anwendung durch Laien gedacht.
Lokalanästhetische Augentropfen
Zur Behandlung starker Schmerzen durch Pfefferspray oder zur Abklärung möglicher Hornhautschäden können Oxybuprocain-haltige Augentropfen angewendet werden. Dadurch kann eine weitgehende Schmerzfreiheit im Auge erreicht und ein Liedkrampf gelöst werden, um weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen durchführen zu können. Eine Anwendung sollte ausschließlich unter ärztlicher Kontrolle stattfinden und auf keinen Fall als Selbstmedikation, da Oxybuprocain-haltige Augentropfen bei Überdosierung selbst dazu geeignet sind Hornhautschäden zu verursachen. Da die Schutzreflexe des Auges und das Sehvermögen nach der Anwendung deutlich vermindert sein können, sollten behandelte Patient*innen auf keinen Fall weiter an der Versammlung und auch nicht selbstständig am Straßenverkehr teilnehmen, um weitere Schäden am Auge und sonstige Gefahren abzuwenden. Für weitere Informationen bitten wir um Beachtung der jeweiligen Fachinformation des Medikaments.
Lokalanästhetische Salben & Gele
Zur Schmerzlinderung auf der Haut können in Einzelfällen lokalanästhetische Salben und Gele zur Anwendung kommen. Zu nennen seien hierbei beispielsweise Zubereitungen mit dem Wirkstoff Lidocain. Gegebenenfalls können auch Zubereitungen mit nicht steroidalen Antiphlogistika, z.B. Diclofenac, genutzt werden um dem entzündlichen Prozess entgegen zu wirken. Zu beachten ist, dass die Salben- oder Gelbasis ebenfalls dazu geeignet ist, neben dem Wirkstoff der Zubereitung auch das Einziehen von Oleoresin Capsicum (OC) zu begünstigen. Daher ist eine Therapie genau abzuwägen und insbesondere bei Auftreten allergischer Reaktionen zu unterlassen. Die Fachinformation des angewendeten Arzneimittels ist zu beachten.
Menthol
Ebenfalls lindernd wirkt die Anwendung von Menthol auf der Haut, welches natürlicherweise im Öl der Pfefferminzpflanze vor kommt. Dieser Wirkstoff setzt an TRPM8-Rezeptorkanälen (Transient Receptor Potential Mucolipin 8) an, die auf Nervenfaser sitzen, die ein Kältegefühl vermitteln. Auf diese Weise wird die genau gegenteilige Empfindung zur heißen, brennenden Wirkung des Capsaicins vermittelt. Außerdem wirkt Menthol leicht lokal betäubend. Zu beachten ist bei der Anwendung, dass Menthol selbst eine reizende Wirkung hat und somit vorsichtig, verdünnt und in geringen Mengen angewendet werden muss. Aufgrund der bereits gereizten Haut kann eine sinnvolle und lindernde Dosierung daher schwierig bis unmöglich sein. Übliche Zubereitungen für die Anwendung auf der Haut haben meist einen Wirkstoffgehalt von einem Prozent. Die als angenehm empfundene Dosierung kann allerdings von Person zu Person stark variieren. Ferner kann Menthol allergische Reaktionen, Herzrhythmusstörungen und Atemnot auslösen. Auch eine Augeninnendruck erhöhende Wirkung wird teilweise beschrieben. Menthol sollte deshalb auf keinen Fall in die Augen gelangen. Zu beachten ist auch hier, dass die Gel- oder Salbenbasis nicht nur das Einziehen des Menthols ermöglicht, sondern auch die Aufnahme weiteren Capsaicins begünstigt. Eine Anwendung ist aufgrund der Nachteile daher genau abzuwägen.
Aloe vera
Dem Saft der Aloe-vera-Pflanze, welches vor allem in der Naturheilkunde Anwendung findet, wird eine entzündungshemmende und immunstimmulierende Wirkung nachgesagt. Es besteht im Wesentlichen aus verschiedenen Zuckern, Vitaminen und Wasser. Neben dem kühlenden Effekt des Wassers wird vermutet, dass die entzündungshemmende Wirkung die Symptome des Capcaicins lindern. Um Nachteile durch eine Salben- oder Gelbasis zu vermeiden, ist Aloe vera nach Möglichkeit frisch anzuwenden, welches jedoch selbst durch eine schwierigere Lagerung und Anwendung Nachteile mit sich bringt.
Behandlung von Komplikationen
Die Erste-Hilfe und notfallmedizinische Behandlung schwerer Komplikationen, wie z.B. einem Asthmaanfall, einer Hyperventilation, einer schweren allergischen Reaktion oder Komplikationen des Herz-Kreislauf-Systems, erfolgt in gleicher Weise, als wäre die Erkrankung ohne Pfeffersprayeinwirkung aufgetreten. Laien sollten sich an den allgemeinen Empfehlungen der Ersten-Hilfe orientieren. Fachpersonal sollte entsprechend der aktuell gültigen Leitlinien und Handlungsanweisungen verfahren. Der Eigenschutz ist unbedingt zu beachten, um nicht selbst durch verbleibende Pfeffersprayreste geschädigt zu werden.
Schutzausrüstung & Prävention
Wirksame Schutzmaßnahmen gegen Pfefferspray, wie Face Shields sind in aller Regel durch die Versammlungsgesetze für Versammlungsteilnehmer*innen verboten und gelten als sogenannte Schutzbewaffnung. Hingegen erlaubt ist das Tragen einer Brille oder Sonnenbrille, wenn diese nicht zur Vermummung genutzt und zum Beispiel um ein Tuch über Mund und Nase ergänzt wird. Einsatzkräfte können sich mit Helmen mit Visier, Schutzbrillen und Masken effektiv schützen.
Sowohl für Einsatzkräfte, als auch für Demonstrant*innen, ist jedoch der beste, wenn auch nicht vollkommene, Schutz darauf zu achten, wo man steht. Pfefferspray wird auf Versammlungen in aller Regel bei Konfrontationen zwischen der Polizei und den vorderen Reihen einer Demonstration bzw. eines Blocks der Demonstration eingesetzt. Wer dort mit demonstriert, sollte sich eher darauf einstellen mit Pfefferspray in Berührung zu kommen. Wem das zu riskant ist, sollte lieber zunächst weiter hinten ihre*seine Erfahrungen mit Demonstrationen sammeln. Wichtig ist vor allem, dass ihr in der Position an einer Demonstration teilnehmt, wo ihr euch auch wohlfühlt. Demosanitäter*innen und andere Einsatzkräfte sollten darauf achten möglichst nicht zwischen die Fronten zu geraten und genügend Abstand von Situationen zu halten, bei denen Pfefferspray zum Einsatz kommen könnte. Hierzu bedarf es vor allem Aufmerksamkeit, auch wenn gerade alles ruhig erscheint, und Erfahrung.
Auch auf den Fall, dass ihr es nicht verhindern könnt, von Pfefferspray getroffen zu werden, könnt ihr euch vorbereiten. Zum Einen könnt ihr wie weiter oben beschrieben eine Augenspülflasche mitführen und zum Beispiel auf das Tragen von Kontaktlinsen verzichten, zum Anderen könnt ihr euch auch mental darauf vorbereiten. Wir erleben es häufig, dass Menschen sehr in Panik geraten, wenn sie zum ersten Mal Pfefferspray abbekommen. Währenddessen bleiben viele deutlich ruhiger, die das Ganze schon kennen. Trotzdem raten wir euch nicht dazu, euch im Selbstversuch vorsorglich einzunebeln. Beschäftigt euch aber vorher mit den Symptomen, die euch erwarten können. Bereitet euch mental darauf vor nichts mehr sehen zu können und Schmerzen zu haben. Wichtig ist dabei zu wissen, dass das Ganze vorbei gehen wird und die Stärke des Schmerzes schon nach 5 bis 10 Minuten oft deutlich nachlässt. All das ist natürlich leichter gesagt als getan, doch auch wenn es nur minimal hilft, so ist das schon besser als nichts.
Keine Gewährleistung für Vollständigkeit und Korrektheit – Stand: 21.08.2021