Unsere Geschichte

Von der Notwendigkeit zur Gründung…

Als im Februar und März 1997 der 3. Castortransport in der Geschichte Deutschlands vom AKW Neckarwestheim Richtung Gorleben rollte, war es klar, dass dieser durch Aktionen von Atomkraftgegner*innen und der darauf folgenden polizeilichen Maßnahmen begleitet würde. Ebenso klar war aus den Erfahrungen der vorherigen Castor-Transporte, dass diese Konfrontation zwischen Polizeibeamt*innen und Demonstrant*innen nicht ohne Verletzungen ablaufen würde. Deshalb wurde ein erfahrener Rettungssanitäter vom damals im lokalen Widerstand federführenden Bundes der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN) mit der Aufgabe betraut, eine Gruppe zu bilden, die sich um die sanitätsdienstliche Absicherung der Gegenproteste kümmert.

Die neue Gruppe bestand aus den unterschiedlichsten Charakteren, die die unterschiedlichsten Motivationen mit sich brachten. Gemein war ihnen nur der Wille zu helfen. Mit teilweise äußerster Skepsis den Demonstrant*innen gegenüber und einer eher positiven Haltung zum Thema Atomkraft gelangte manch ein*e Sanitäter*in zu den Blockaden am Atomkraftwerk Neckarwestheim.

In den darauf folgenden Tagen der Proteste trafen die Sanitäter*innen auf eine bunte Vielfalt kreativer Aktionen, die bleibende Eindrücke hinterließen. Gleichzeitig mussten sie teils heftige Auseinandersetzungen miterleben. Friedliche Sitzblockade wurden von der Polizei mit Wasserwerfer und Schlagstock aus dem Weg geräumt. Während Argumente auf die Gewalt der Staatsmacht trafen, änderte sich das Weltbild einiger Sanitäter*innen grundlegend.

Dieses Vorgehen der Polizei hatte, wie im Vorfeld vermutet, zahlreiche Verletzte zur Folge und veranlasste die Gruppe tätig zu werden. Die Sanitäter*innen erkannten die generelle Notwendigkeit der notfallmedizinischen Absicherung von Versammlungen. Eine neu Demosanitätsgruppe unter dem Namen „Demo-Sanitäter Ludwigsburg“ war geboren (Gründung am 28.02.1997).


Aufbau einer Sanitätsorganisation…

Proteste gegen Castortransport 2001

(Bildquelle: imago – Gutschalk)

Ein professionelles Auftreten und höchste medizinische Standards waren der Gruppe von Beginn an wichtig. Bereits ein halbes Jahr nach der Gründung wurde eine für alle Helfer einheitliche Kennzeichnung mittels roter, damals rettungsdiensttypischer Westen eingeführt. Systematisch wurde das medizinische Equipment ausgebaut. Der anfänglich einzelne Rettungsrucksack wurde um zwei weitere ergänzt. Im August 1998 folgte die Indienststellung des ersten Atmungsrucksacks mit Sauerstoff. Durch gezielte Werbeaktionen konnten weitere Mitglieder gewonnen werden. Im Demokratischen Zentrum Ludwigsburg (Demoz) bekam die Gruppe ihr erstes Büro und nannten sich in der Folge „Sanitätsgruppe im Demokratischen Zentrum Ludwigsburg“.

„Es gibt nur eine Methode Medizin zu machen, und diese besteht darin sie so gut zu machen wie es möglich ist. Dies heißt vor allem sie professionell zu machen. Ob naturheilkundlich, konservativ, ganzheitlich, traditionell, ob östlich oder westlich – all‘ solche Fragen können, so wichtig sie auch sind, erst danach kommen; angesichts der tiefen Nöte, die uns in der Medizin allzeit begegnen können.“

(Volker 2001)

Ziel war von Anfang an nicht das Leisten reiner Ersten Hilfe, sondern eine notfallmedizinische Versorgung auf maximal möglichem Niveau. Viele Fehler mussten allerdings erst gemacht, viele Erfahrungen erst gesammelt werden, denn es gab nur wenige Erfahrungswerte, auf die sich die Gruppe anfänglich stützen konnte. Die neu entstandene Gruppe aus dem Großraum Stuttgart war die erste ihrer Art. Vor ihr hatte sich seit über einem halben Jahrhundert niemand mehr an das Projekt gewagt, Protestaktionen und Demonstrationen auf rettungsdienstlichem Niveau notfallmedizinisch zu begleiten. Bisherige Demosanitätsgruppen waren mit weniger Material und nur wenig Kennzeichnung direkt als Demonstrant*innen im Geschehen dabei. Oft wurden sie verhaftet, bevor sie Hilfe leisten konnten, wurden nicht zu den Patienten durchgelassen oder hatten einfach nicht das notwendige Material dabei, um effektiv zu helfen.

Demosanitätsübung 2006

In den Folgejahren entwickelte sich die Gruppe weiter. Das Aufgabengebiet erweiterte sich zunehmend. Bald wurde nicht nur die medizinische Versorgung bei Versammlungen übernommen, auch das leibliche Wohl fand mit Volxküchen seine Aufmerksamkeit. Für Kletteraktionen wurde eine Höhenrettungsgruppe gegründet. Ebenfalls stand ein zunehmend breiteres Ausbildungsangebot zur Verfügung. Die Thematische Ausrichtung erweiterte sich zunehmend. Neben Protestaktionen und Versammlungen wurden bald auch nicht kommerzielle Kulturveranstaltungen mit Sanitätsdiensten unterstützt. Nach der Fusion mit der Demosanitätsgruppe aus dem Gebiet Rhein-Neckar benannte sich die Gruppe um und war ab diesem Zeitpunkt unter dem Namen „Sanitätsgruppe Rhein-Neckar / Ludwigsburg“ aktiv.


Die jüngere Geschichte…

Im Jahr 2003 erhielt die Sanitätsgruppe ihren heutigen Namen, gab diesen 2010 allerdings kurzzeitig auf, um dann doch wieder unter ihm weiterzuarbeiten. Seit der Gründung hatte sich die personelle Besetzung der Gruppe stark geändert. Heftige Personalprobleme führten zeitweise fast zu ihrer Auflösung, denn immer wieder verließen Mitglieder die Organisation. Doch es kamen auch neue engagierte Sanitäter*innen aus hinzu und hielten die Gruppe am Laufen.

UN-Klimakonferenz Kopenhagen 2009

Da sich die Gruppe bis heute zu großen Teilen aus den privaten Taschen ihrer Mitglieder finanziert, sind die Ressourcen für Anschaffungen schon immer begrenzt gewesen. Trotzdem, nach langem Sparen und Sammeln, nahm die Ausrüstung zunehmend die gewünschten Formen an. Die Gruppe trat nun in leuchtgelber Einsatzkleidung, damals selbst für den Rettungsdienst ein Novum, ihre Einsätze an. Die Einsatzrucksäcke wurden erneuert und so konzipiert, dass jede Einsatzkraft im Einsatz über ein vollständige Grundausstattung verfügte und spezielle Material für typische Verletzungen auf Demonstrationen (z.B. Augenspülung bei Pfefferspray) mitführte. Auch das restliche Equipment wurde erweitert. So konnten die Teams z.B. mit Funkgeräten untereinander in Kontakt bleiben. Eine voll ausgestattete Sanitätsstation ermöglichte auch die Betreuung von Protestcamps und nicht kommerziellen Kulturveranstaltungen.

„They are widely known for the use of fluorescent-yellow-with-red ambulance „uniforms“ and heavy medical equipment in backpacks weighing up to 30 kgs.“

(http://medic.wikia.com/)

2013 setzte sich das letzte Gründungsmitglied weitgehend zur Ruhe. Es erfolgte eine schrittweise Umstrukturierung, bei der die materielle Ausstattung erneuert wurde, um die Tätigkeit mit gewohnt hohen Standards weiterführen zu können. Seitdem treten die Sanitäter*innen der Sanitätsgruppe Süd-West ihre Einsätze in leuchtroter Einsatzkleidung an. Im Sommer 2015 erhielt die Gruppe nach einer außergerichtlichen Einigung mit dem Bundesverband eigenständiger Rettungsdienste und Katastrophenschutz e.V. (BKS) ein neues Logo. Im August 2017 wurde ein gemeinnütziger Verein gegründet unter dessen Dach die künftige Arbeit der Gruppe stattfindet. In diesem Zuge erhielt die Sanitätsgruppe Süd-West den Zusatz “e.V.“. 2018 erweiterte die Sanitätsgruppe Süd-West e.V. ihr Tätigkeitsfeld. Ein neues Team der Psychosozialen Notfallversorgung nahm seine Tätigkeit auf. 2019 bezog der Verein nach vielen Jahren wieder eigene Räumlichkeiten in Stuttgart, die neben der Lagerung und Instandhaltung des Materials auch zu Fortbildungszwecken und für Treffen genutzt werden. Seit Ende 2021 befindet sich eine weitere Regionalgruppe in Karlsruhe im langsamen Aufbau.