Schweigepflicht

Wir wollen diesen Text mit einem kleinen Gedankenexperiment beginnen. Erinnere dich an deine Besuche im Krankenhaus oder bei deinem Hausarzt oder deiner Hausärztin zurück.

Welche intimen Details hast du schon mal mit Ärzt*innen besprochen? Es hat dich vielleicht viel Überwindung gekostet über deine Erektionsprobleme, deine erste Regelblutung, deine depressiven Phasen oder deinen schon sehr peinlichen Unfall zu sprechen. Dabei hast du deinem Gegenüber selbstverständlich vertraut, dass das Besprochene unter euch bleibt. Doch ist dieses Vertrauen gegenüber den Menschen im weißen Kittel, im Kasack oder in der Einsatzkleidung des Rettungsdienstes eigentlich selbstverständlich? Wie sähe eine medizinische Behandlung eigentlich aus, wenn dem nicht so wäre? Würdest du dann auch so freizügig über alles mit deiner Ärztin oder deinem Arzt sprechen können? Was würdest du lieber verschweigen? Bekäme dein Gegenüber wirklich alle Informationen, die er oder sie braucht um dir möglichst gut helfen zu können?

Die Schweigepflicht ist als eine der wichtigsten Grundlagen der medizinischen Versorgung unabdingbar für das Vertrauensverhältnis zwischen Patient*innen und Behandelnden. Trotzdem wird sie oft sehr stiefmütterlich behandelt. Für die Sanitätsgruppe Süd-West e.V. hat der Schutz der Persönlichkeitsrechte ihrer Patient*innen einen besonders hohen Stellenwert. Daher möchten wir diesem wichtigen Thema auf unserer Webseite etwas Raum widmen.


Schweigepflicht nach Strafgesetzbuch

Die Schweigepflicht wird in § 203 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Sie umfasst alle Informationen, die einer oder einem Behandelnden im Rahmen seiner*ihrer Tätigkeit zu Teil wird – also zum Beispiel erhobene medizinische Befunde, anvertraute Geheimnisse, aber auch Informationen bezüglich nicht-medizinischer Belange. Sie gilt gegenüber jeder dritten Person – also z.B. auch gegenüber Freund*innen, Familienangehörige, Polizist*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen.


Für wen gilt die Schweigepflicht?

Die Schweigepflicht nach Strafgesetzbuch gilt u.a. für Ärzt*innen, Zahnärzt*innen, Psycholog*innen, Apotheker*innen, Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagog*innen und Angehörige assistierender Heilberufe mit staatlich geregelter Ausbildung. Damit umfasst sie auch direkt u.a. Gesundheits- und Krankenpfleger*innen, Notfallsanitäter*innen und Rettungsassistent*innen. Ob die Ausbildung als Rettungssanitäter*in, die durch einen Bund-Länder-Ausschuss Rettungswesen geregelt wird, dadurch erfasst wird ist strittig zu sehen. Nicht direkt erfasst werden allerdings alle Hilfskräfte mit niedrigeren, nicht staatlich geregelten Ausbildungen (z.B. Einsatzsanitäter*innen, Sanitätshelfer*innen oder Rettungshelfer*innen). Sie werden als Mitwirkende behandelt, die berufs- oder vereinsrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet werden müssen. Entsprechende Regelungen wurden bei der Sanitätsgruppe Süd-West e.V. getroffen. Übrigens beruht auch die Schweigepflicht der Rechtsanwält*innen auf dem §203 StGB.


Wann dürfen oder müssen Informationen trotz der Schweigepflicht weitergegeben werden?

Grundsätzlich nicht strafbar ist die Weitergabe von Informationen an Personen, die an der Behandlung mitwirken. Wenn also ein Arzt oder eine Ärztin sich mit der Pflege auf ihrer Krankenhausstation austauscht, so ist das ebenso nicht strafbar, wie die Kommunikation zwischen Notärzt*innen und Rettungsfachpersonal im Rettungsdienst. Auch eine Entbindung von der Schweigepflicht ist möglich. Mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Patienten oder der Patientin ist es natürlich erlaubt, dass zum Beispiel ein Arzt oder eine Ärztin Angehörigen Auskunft über den Gesundheitszustand gibt. Auch für Aussagen vor Gericht kann die behandelnde Person von der Schweigepflicht schriftlich entbunden werden. Dann muss diese allerdings vollständig und wahrheitsgetreu aussagen ohne etwas wegzulassen.

Neben diesen Grundsätzen werden Offenbarungsbefugnisse und Offenbarungspflichten unterschieden. Erstere erlauben die Durchbrechung der Schweigepflicht, es besteht aber keine Pflicht und weiterhin das Recht zu schweigen. Zweitere verpflichten die eigentlich zum Schweigen verpflichtete Person zur Auskunft.

Das Offenbarungsbefugnis ergibt sich hauptsächlich aus dem Rechtfertigenden Notstand (§34 StGB). Er erlaubt es, die Schweigepflicht zu brechen, wenn dadurch ein Rechtsgut geschützt wird, das höher zu bewerten ist, als die Missachtung der Schweigepflicht. Dies gilt insbesondere für schwere zukünftige Straftaten gegen Leib, Leben und Freiheit, die nicht von § 138 StGB (siehe unten) erfasst werden oder bei unmittelbarer Wiederholungsgefahr einer solchen Straftat. Hier ist es jedoch vor dem Bruch der Schweigepflicht erforderlich, dass die behandelnde Person in ausreichendem Maße versucht, die Person von ihrer Tat abzubringen und dies nicht gelingt. Eine weitere gesetzliche Grundlage eines Offenbarungsbefugnisses stellt der §4 des Bundeskinderschutzgesetzes (KKG) dar. Er ermöglicht es Behandelnden im Falle einer Kindeswohlgefährdung das Jugendamt zu informieren. Auch hier müssen jedoch zunächst andere geeignete Mittel zur Abwendung der Gefahr für das Kind getroffen und die Betroffenen vorab informiert werden. Damit rechtfertigt das staatliche Strafverfolgungsinteresse alleine auch bei schweren vergangenen Straftaten nicht den Bruch der Schweigepflicht. Eine Pflicht zur Auskunft auf diesen Grundlagen besteht ohnehin nicht.

Offenbarungspflichten lassen der*dem Behandelnden hingegen keine Wahl. Gesetzliche Auskunftspflichten legen fest, dass bestimmte Berufsgruppen (vor allem Ärzt*innen und Laborpersonal) in bestimmten Fällen Auskünfte an definierte Institutionen weitergeben müssen. Dies betrifft die Meldepflicht von Verdacht, Nachweis und Tot bei einer meldepflichtigen Erkrankung nach Infektionsschutzgesetz an das Gesundheitsamt, von Geburten und Todesfällen an das Standesamt und die Meldung von Berufskrankheiten an den Unfallversicherungsträger. Im Falle einer ungeklärten oder unnatürlichen Todesursache müssen Ärzt*innen nach der Leichenschau die Polizei hinzuziehen. Eine weitere rechtliche Grundlage für eine Offenbarungspflicht behandelnder Personen stellt der §138 StGB dar. Er bestraft die Nichtanzeige bestimmter geplanter Straftaten um eine unmittelbare Gefährdung der Allgemeinheit abzuwenden. Dabei reicht die Liste der Straftaten, die vom §138 StGB erfasst werden, von Mord und Totschlag, über Entführung und Raub bis hin zu Brandstiftung oder gefährliche Eingriffe in den Straßen-, Schienen-, Luft- oder Schiffsverkehr (Aufzählung unvollständig). Die allermeisten Straftaten werden von dieser Regelung jedoch nicht erfasst, sodass hier auch keine Anzeigepflicht besteht.


Was tun, wenn die Schweigepflicht verletzt wurde?

Leider kommt es immer wieder vor, dass trotz der Strafandrohung von einer Freiheitsstrafe von einem Jahr (2 Jahre bei Bereicherung oder absichtlicher Schädigung) oder einer Geldstrafe gegen die Schweigepflicht verstoßen wird. Auch bei einem einfachen Autounfall bedarf es beispielsweise des Einverständnisses des Unfallopfers, bevor ein*e Rettungsdienstler*in personenbezogene Daten an die Polizei weitergeben darf. Hier vorschnell aus falsch verstandener Kollegialität ohne Entbindung von der Schweigepflicht Informationen weiter zu reichen, stellt hingegen eine Straftat dar. Auch im Kontext von Versammlungen haben wir in den vergangenen Jahren Verstöße mitbekommen. So wunderten sich Angeklagte nach Auseinandersetzungen auf einer Versammlung, warum ihre vollständigen Krankenhausunterlagen in der Ermittlungsakte enthalten waren. Die Klinik hatte diese offensichtlich ohne Schweigepflichtsentbindung an die Polizei weitergegeben. Trotzdem solltest du deswegen keine Angst vor einer Behandlung durch Rettungsdienst und Krankenhaus haben. Diese Vorfälle sind zum Glück nicht die Regel.

Die Verletzung der Schweigepflicht ist ein Antragsdelikt, welches nur verfolgt wird, wenn das Opfer Anzeige erstattet. Dabei ist der Tatbestand nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit erfüllt. Eine einfache Fahrlässigkeit ist nicht ausreichend. Betroffenen raten wir zur Kontaktaufnahme zu einer Anwältin oder einem Anwalt zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Anzeige. Dabei sollte bedacht werden, dass durch strafrechtliche Konsequenzen auch zukünftige Patient*innen vor einer Verletzung der Schweigepflicht geschützt werden können.


Zeugnisverweigerungsrecht nach Strafprozessordnung

Neben der Schweigepflicht des Strafgesetzbuches (StGB) regelt die Strafprozessordnung (StPO) in ähnlicher Weise das Zeugnisverweigerungsrecht. Der § 53 StPO räumt dabei u.a. Ärzt*innen, Zahnärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Apotheker*innen und Hebammen das Recht ein, eine Zeugenaussage zu verweigern. Der nachfolgende § 53a StPO gestattet dies außerdem allen Personen, die im Rahmen eines Vertragsverhältnisses, einer Ausbildung oder einer sonstigen Hilfstätigkeit an der Tätigkeit der Personen aus §53 StPO mitwirken. Damit deckt er auch alle anderen medizinisch tätigen Personen eines Krankenhauses, eines Rettungsdienstes oder einer Hilfsorganisation ab, die in aller Regel ärztlich geleitet werden. Dabei gilt zu beachten, dass das Zeugnisverweigerungsrecht zur Zeugnisverweigerungspflicht wird, wenn nicht die Voraussetzungen (Entbindung, Offenbarungspflichten oder Offenbarungsbefugnisse) für eine Aussage erfüllt sind, die wir bereits bei der Schweigepflicht ausgeführt haben. Im Falle einer schriftlichen Entbindung durch die Patient*innen oder den Patienten erlischt hingegen das Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht komplett.


Keine Gewährleistung für Vollständigkeit und Korrektheit – Stand: 21.08.2021